«Zürich wird sich noch stärker entwickeln.»

Urs Küng Neu
Interview mit Urs Küng, Partner Real Estate AG

Lockdown – von einem Tag auf den anderen stand das öffentliche Leben beinahe still. Worin bestand für Sie als Immobilienspezialist die grösste Challenge in dieser Zeit?

Der Erstkontakt mit unseren Kunden erfolgt immer persönlich. Da wir mit internationaler Kundschaft arbeiten, war dies von einem Tag auf den anderen keine Option mehr, und es galt, für diese neuen, schwierigen Umstände eine kreative Lösung zu finden.

Seit über hundert Jahren prägt das Büro unser Leben. Nun zeigte sich, dass das konsequente Arbeiten im Homeoffice besser funktioniert, als wir dachten. Hat das Büro im bisherigen Sinne womöglich ausgedient?

Unternehmen sind heute mehr denn je auf unabhängig arbeitende und selbstständig denkende Mitarbeitende angewiesen. Persönlichkeiten, welche die Firma prägen und helfen, eine starke Kultur aufzubauen. Diese Menschen brauchen den persönlichen Kontakt, der meist ausserhalb der eigenen vier Wände stattfindet, hauptsächlich im Arbeitsumfeld. Ich bin überzeugt: Solange wir soziale und wirtschaftliche Kontakte mit anderen Menschen teilen möchten, solange gibt es einen Ort, an dem sich Menschen treffen: das Büro.

«Die fortschreitende Digitalisierung wird den Wirtschaftsstandort Schweiz stärken. Zürich selbst ist im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt.»

Und was muss es konkret bieten – insbesondere in Zukunft?

In erster Linie muss es ein Ort sein, an dem man effizient arbeiten kann. Sozialer Kontakt soll ermöglicht und gefördert werden – es braucht aber auch Raum für persönliche Bedürfnisse. Zum Kaffeetrinken in entspanntem Ambiente, für Fitness oder Kinderbetreuung, für den gemeinsamen Apéro und so weiter. Unternehmen werden ihren Mitarbeitenden künftig vermehrt eine erweiterte und anpassungsfähige Umgebung bieten, die auf die Individualität der Personen eingeht. Klar, im Homeoffice hat man mehr Zeit für die Sporteinheit zwischendurch oder den Zmittag mit den Kids, aber es ist eben auch schwierig, eine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen. Und genau hier setzt das Büro der Zukunft an: Es integriert individuelle Mitarbeitenden-Bedürfnisse in das Umfeld, an dem die Leistung erbracht wird.

Worin sehen Sie generelle Vor- und Nachteile der Arbeit im Homeoffice?

Die Arbeit im Homeoffice war schon immer ein Thema für Personen, welche auch ausserhalb der regulären Arbeitszeiten Aufgaben zu erledigen haben. Für die Arbeitnehmenden mit «8-to-5-Job» hingegen stellt das Homeoffice aus meiner Sicht eine Gefahr dar. Wer zu hundert Prozent zuhause arbeitet, kann nur noch durch Leistung und Lohn beurteilt werden. Jede Person wird damit austauschbar, und sobald sich bei gleicher Leistung eine Person mit tieferem Lohn findet, ist es für den Arbeitgeber deutlich einfacher, jemanden zu ersetzen. Die Job-Sicherheit im Homeoffice ist also für Arbeitnehmende tiefer. Für Arbeitgebende ermöglicht es hingegen Einsparungen und Flexibilität. Ich sehe aber noch eine weitere Herausforderung: Was im Ausland bereits als grosses Problem gilt und auch bei uns immer hitziger diskutiert wird, sind die Themen Datenschutz und Informationssicherheit im Homeoffice. Ganz besonders, wenn es sich um ein internationales Unternehmen handelt, das weltweit tätig ist. Wie soll man Kunden Sicherheit vermitteln, wenn die Mitarbeitenden zuhause sensible Kundendaten verwalten und vertrauliche Kundengespräche führen müssen? Auch kann der Schutz vor Hackern oder Einbrechern vielerorts nicht gewährleistet werden.

Wird im Büro von morgen grundsätzlich mehr oder weniger Platz benötigt als bisher – und weshalb?

Was die Zukunft tatsächlich bringt, wird sich zeigen. Aber ich erwarte einen konstanten Bedarf. Abstand führt zu mehr Fläche, Homeoffice zu weniger Bedarf. Flexibel gebaute Büros konnten bereits zuvor die Bedürfnisse der Mitarbeitenden besser abbilden, und somit war die Adaption während Corona auch einfacher möglich.

Welche Auswirkungen hat diese Problematik auf die Schweiz als Wirtschaftsstandort?

Ich sehe es als mögliches Szenario, dass international tätige Unternehmen die Mitarbeiterzahl in der als sicher geltenden Schweiz erhöhen, um hier in Zukunft sensible Daten zu verwalten. Der Wirtschaftsraum Schweiz ist attraktiv. Ich glaube also, die Krise wird den Wirtschaftsstandort Schweiz und damit auch den Standort Zürich stärken. US-Firmen werden kaum Daten in Asien hosten und vice versa. Somit wird – auch ausserhalb der EU – ein neutraler Ort zur Drehscheibe des Hostings sensibler Daten. Dabei könnte die Schweiz einmal mehr von ihrer Neutralität profitieren. Gut möglich also, dass der Bedarf an Büroflächen in den nächsten Jahren zunimmt.

Sie erwarten also nicht, dass es aufgrund der «neuen, flexiblen Art zu arbeiten» bald noch mehr Office-Leerstände gibt in der Innenstadt von Zürich?

Nein – im Gegenteil. Kurzfristig werden zwar freie Flächen verfügbar, denn die Verunsicherung ist weltweit gross und die Verhaltensstrategien mannigfaltig. Doch wenn es uns gelingt, auf die Neutralität der Schweiz zu setzen und Zürich als stabilen und sicheren Standort für Kunden und Mitarbeitende zu positionieren, werden sich vermehrt Firmen in der Schweiz und in Zürich ansiedeln. Ich bin überzeugt, dass sich die Innenstadt von Zürich rascher und stärker entwickeln wird als vor Corona.

Internationalen Unternehmen, die sich in Zürich ansiedeln wollen, vermitteln Sie passende Liegenschaften. Wie hat sich die Nachfrage in diesem Zusammenhang in den vergangenen Monaten verändert?

Die Nachfrage hat sich kaum verändert. Was jedoch stark zugenommen hat, sind die Unsicherheit und die Entscheidungsfindung der Unternehmen. Die Bedürfnisse bleiben bestehen, mit Entscheidungen wird jedoch abgewartet, um zu beobachten, wie sich die Situation entwickelt. Zurzeit erleben wir vermehrt Firmen, die kurzfristig Büros dazumieten, da sie die Mitarbeitenden wieder aus dem Homeoffice ins Büro holen wollen, dort aber infolge der Abstandsregeln zu wenig Platz haben. So lagern sie einzelne Teams in temporär angemietete Drittobjekte aus.

Und wie sieht die Situation im Ausland aus?

Die tatsächliche Situation kennen wir nur aus zweiter Hand, aber gemäss Aussagen unserer Kunden ist die Lage in vielen Städten prekär. In Metropolen wie London, New York oder Singapur sind die Wohnungen sehr teuer, weshalb sich die Leute auf sehr wenig Raum beschränken. Zuhause fehlt es dann oft nicht nur an Platz, sondern auch an stabilen und leistungsstarken Internetverbindungen, an Hardware, an Sicherheit. Das stellt viele Grossfirmen vor riesige Herausforderungen. Viele dieser Probleme kennt Zürich nicht und ist deshalb im internationalen Vergleich gut aufgestellt.

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